Reiseberichte

USA: Mareike Dorf

The Cowbell Story

Ich hatte die Küste der USA, die ich von Kanada bis zur mexikanischen Grenze gefahren war, hinter mir gelassen. Es war der siebte Monat meiner Reise, als ich an der Grenze zu Mexiko stand. Zu dem Zeitpunkt war ich über 7000 km mit dem Fahrrad gefahren. Von hier aus brach ich also auf in das Gewirr der vielen Nationalparks und die endlosen Weiten der USA. Als Ziel hatte ich mir Minneapolis gesteckt, da ich dort jemanden besuchen wollte.

Von den unendlich vielen Begegnungen, die ich während meiner gesamten Reise und auch während meiner Zeit in den USA gehabt habe, erinnere ich mich an eine ganz besonders gerne zurück.

Auf meinem Weg Richtung Minneapolis bin ich keiner vorgeschriebenen Route gefolgt, sondern habe schlichtweg täglich entschieden, welchen Weg ich nehme. So kam es, dass ich mich in der Nähe des Capitol Reef National Parks den Boulder Mountain hochkämpfte. Es ist ein 2928 m hoher Bergpass in Utah, der auf der State Route 12 liegt. Die Straße ist komplett asphaltiert, jedoch in manchen Abschnitten ziemlich steil.

Genau am gleichen Tag führte die Route des bekannten Radrennens "Tour of Utah" über genau diesen Bergpass. Ich war noch nicht oben angekommen, als mich die riesige Gruppe von Rennradfahrern überholte.

Als ich den Pass überwunden hatte, bin ich in Torrey angekommen, dem Ort, wo auch das Radrennen ein paar Stunden zuvor geendet hatte. Mir kamen zwei Männer entgegen, die am Ortseingang begeistert mit Kuhglocken läuteten. Sie sagten, dass sie das Radrennen verfolgt hätten und mich zuvor mit meinem beladenen Fahrrad gesehen hätten, als ich mich gerade den Berg hochgekämpft hatte. Es sei eine gute Leistung, meinten sie. Ich bedankte mich daraufhin und meinte spaßig, dass ich nur ein bisschen zu spät ins Ziel gekommen sei, da dort schon die Abbauarbeiten begonnen hatten.

Zwei Tage später habe ich lustigerweise dieselben Männer mit ihren Frauen an einem Campingplatz getroffen, wo wir uns ein bisschen länger unterhalten konnten. Sie waren weiterhin begeistert von dem, was ich mache. Ich gab ihnen meine Blogadresse und sie sicherten mir begeistert zu, meine Reise von nun an zu verfolgen. Am nächsten Tag hing morgens eine Tüte an meinem Fahrrad mit Müsliriegeln, Studentenfutter und allem möglichen, was Energie liefert und dazu eine Postkarte. Unterzeichnet war die Karte mit ´Your Colorado Friends´. Da ich niemanden mehr auffinden konnte, habe ich auf meinem Blog den „Unbekannten“ gedankt. Ich bekam daraufhin eine E-Mail von Mike, einem der Männer, die damals die Kuhglocken läutete. Zu dem Zeitpunkt war ich gerade südlich von Colorado Springs und es stellte sich heraus, dass beide Pärchen dort wohnen. Ich plante also, sie zu besuchen. Ich freute mich, die Vier kennenzulernen, da sie alle sehr freundlich zu sein schienen. Unweit von Colorado Springs hatte ich meinen ersten Unfall. Ich wurde von einem Auto gestreift und bin gestürzt. Ohne große Verletzungen fühlte ich mich dennoch nicht in der Lage weiterzufahren. Ich hatte immerhin noch knapp 20 km vor mir und hatte Schmerzen in der Schulter, sowie Schürfwunden an Knie und Händen.

Ich rief eines der Pärchen an, berichtete, was passiert war und fragte, ob mich gegebenenfalls jemand abholen könnte. Ohne auch nur zu überlegen bejahten sie dies und wenig später saß ich frisch geduscht und versorgt im Wohnzimmer von Mike und Tricia. Ich verbrachte drei Tage bei den beiden, bevor ich wieder, zuerst noch etwas unsicher, auf mein Fahrrad stieg. Ich war unendlich dankbar dafür, dass mich diese mir fremden Leute aufgenommen und umsorgt haben, als wäre ich ihre eigene Tochter. Es ist dadurch eine Freundschaft entstanden, die wohl immer bestehen bleibt und ich weiß, dass ich wohl immer meine zwei Familien in Colorado Springs haben werde.

Insgesamt war ich zwei Jahre mit meinem Fahrrad in 15 verschiedenen Ländern unterwegs. Menschen, die ich auf meiner Reise getroffen habe oder die mich auch jetzt noch auf meine Reise ansprechen, fragen oft: „Und, was hat dir am meisten gefallen?“ Ich muss dann immer gestehen: „Ich kann es eigentlich nicht genau sagen. Jedes Land war auf seine ganz eigene Weise besonders und hatte natürlich Vor- und Nachteile für das Touren mit dem Fahrrad.“

Durch die Art und Weise, wie ich gereist bin, durfte ich jedes Land und deren Kultur sehr intensiv kennenlernen. Ich konnte verschiedene Spezialitäten probieren, ich habe an den unterschiedlichsten Orten in den unterschiedlichsten Unterkünften übernachtet, ich habe Armut und Reichtum gesehen, konnte Naturschauspiele und atemberaubende Landschaften bestaunen. Ich war dem Wetter und dem Klima oft völlig ausgesetzt und wurde aber immer wieder von wildfremden Leuten so herzlich aufgenommen. Es ist unglaublich, was für eine Freundlichkeit, was für ein Vertrauen und was für eine Hilfsbereitschaft ich auf der ganzen Welt erfahren habe. Es waren zwei Jahre, in denen ich viele Stunden auf meinem Fahrrad gesessen habe und in denen ich viele Kilometer und Höhenmeter bewältigt habe. Ich hatte sehr viel Zeit zum Nachdenken. Ich habe nicht nur die Welt, sondern definitiv auch mich besser kennen gelernt. Die Reise hat mich verändert. Ich habe gelernt, dass man nicht viel braucht zum Glücklichsein. Es geht im Leben nicht darum, den Vorstellungen anderer zu entsprechen und sich anzupassen. Es ist auch nicht wichtig, wie viel man besitzt. Es geht vielmehr darum, glücklich zu sein, seine Träume zu leben und in jedem Tag etwas besonders zu sehen.