Reiseberichte

Seidenstraße: Thomas Meixner

Abenteuer Seidenstraße

Seit vielen Jahren reise ich durch die Welt. Dabei benutze ich für die heutige Zeit ein eher ungewöhnliches Vehikel: das Fahrrad. Immer wieder werde ich gefragt, warum mit dem Fahrrad, warum quälst du dich so …, das geht doch alles viel bequemer!

Für mich gibt es viele Gründe, das Rad zu nehmen. In erster Linie kann ich mit diesem Reiseverkehrsmittel lange mit wenig Geld unterwegs sein. Mit dem Fahrrad zwinge ich mich quasi, langsam unterwegs zu sein. Dadurch erlebe ich die Dinge wie Wind, Sonne, Regen, Berge intensiver als wenn ich im Bus, Auto oder, was das Schlimmste wäre, über allem im Flugzeug sitzen würde. Mit dem Rad hat man sehr guten Zugang zu dem Menschen. „Ein Radfahrer kann kein böser Mensch sein“, so bringt es der Rekordradler Heinz Stücke, ein deutscher Weltumradler im wahrsten Sinne, auf den Punkt, als er in einem Interview sei­nen Eindruck vermittelt, wie du von den Menschen in der Fremde gesehen wirst. Heinz hat übrigens fast sein ganzes Leben im Sattel eines bepackten Rades verbracht und war in jedem Land der Erde zu Gast. Über fünfzig Jahre auf zwei Achsen unterwegs und weit über 600.000 Kilometer in den Waden.

Eine Reise unterscheidet sich ja auch erheblich von einem Urlaub. Sie ist in der Regel sehr viel länger und man plant sie nicht ganz bis ins Detail, son­dern hat eine Vorstellung vom zeitlichen und räumlichen Korridor und muss viele Sachen offenlassen. Manchmal kommt es dann ganz anders als geplant. Ich sage immer: Eine Reise ist wie ein Leben. Man wird geboren, fährt also los, und dann bewegt man sich zeitlich und räumlich vorwärts. Es gibt auf einer Reise nicht nur schöne Dinge zu erleben, sondern auch knallharte Tiefen, die es zu durchleben gilt. Also geht es praktisch, wie im richtigen Leben, immer hoch und runter. Und wenn man viel unterwegs ist, so wie ich, dann bleiben die schlimmen Momente nicht aus. Ich hoffe zwar immer, dass jede Tour gut verläuft und ich nur von angenehmen, schönen Momenten in Vorträgen und Büchern berichten kann, aber das ist eine Illusion. Auf meinen Reisen saß ich dreimal jeweils für eine Nacht im Untersuchungsgefängnis ein, wurde dreimal brutal überfallen, hatte einen Unfall und war auch mal krank. Wenn ich dann von diesen Dingen berichte, ist das manchmal ein Vorwand für Menschen, so etwas lieber zu unterlassen und zu Hause zu bleiben. Doch die schlimmen Momente einer langen Tour sind meist nur von kurzer Dauer. Die allermeisten Erlebnisse sind positiver Natur, und an denen mache ich mich fest und sehe al­les eher optimistisch.

Nun, ich reise nicht wie Heinz Stück für Stück, sondern habe meine eigene Rei­sephilosophie entwickelt.

Vor über zwanzig Jahren hatte ich mein letztes Angestelltenverhältnis als Fahr­radmechaniker und Verkäufer in unserem örtlichen Fahrradgeschäft an den Na­gel gehängt, um eine Reise nach Sydney zu den Olympischen Spielen im Jahr 2000 zu wagen. Daraus ist eine Weltreise geworden, auf der ich dann dreiein­halb Jahre unterwegs war. Danach war ich wieder zu Hause und fühlte mich dort auch sehr wohl. Doch nach einiger Zeit kam das Fernweh zurück und ich plante die nächste Reise. Auch als diese wieder zu Ende ging, freute ich mich auf die Heimat. Inzwischen ist das Reisen für mich zum Beruf geworden. Seither halte ich Vorträge und schreibe Bücher, wie auch dieses. Doch das Pendeln zwi­schen den zwei Welten, wenn ich das so ausdrücken darf, ist geblieben. Ich bin also nicht der klassische Aussteiger, der einen Schnitt mit seinem alten Leben macht und vielleicht auch irgendwie versucht, vor Problemen „wegzurennen“, sondern eher das Gegenteil. Ich brauche die Stabilität meines Elternhauses und das stabile soziale Umfeld mit Freunden und Bekannten, um auch im Kopf sta­bil genug zu sein, eine Reise zu bestehen. Ich vergleiche es immer mit unserer Erde und dem Mond. Nur weil es den Mond gibt, kann sich die Erde stabil be­wegen und gleichmäßig drehen und andersherum würde der Mond ohne die Erde hoffnungslos im All herumirren.

Weitere Reisen folgten, wie die Mongolei-Expedition, eine Fahrt nach Kapstadt, die Wladiwostok-Tour, bei der ich auf dem Landweg bis zur letzten bzw. er­sten Station der Transsibirischen Eisenbahn radelte, um dann mit derselbigen den Rückweg anzutreten. Anschließend gab es nochmals eine lange Reise von zwanzig Monaten. Hier „kümmerte“ ich mich um den sehr interessanten Dop­pelkontinent Amerika. Dazwischen erfüllte ich mir kleinere Reisewünsche, war in Island, dem Baltikum und in den USA. Doch auch die ganz normalen anderen Hobbys machen genauso viel Spaß. Im Keller wartet ein Faltboot auf kleine Aus­flüge auf den Gewässern Mitteleuropas oder wir fahren an den Wochenenden im Sommerhalbjahr die örtlichen Steinbrüche an, um uns an wunderschönen Felswänden beim Freiklettern „die Finger lang zu ziehen“. Auch kommt mein Tandem relativ oft zum Einsatz, wenn es auf Tagestouren durch die heimischen Wälder und Felder geht.

Doch bei fast allem geht es im Prinzip darum, draußen zu sein, unterwegs zu sein. Das ist mir seit meiner frühesten Kindheit inne. Schon im Bauch meiner Mutter wurde ich im Sommer im Zelt beherbergt, später, als kleiner Bengel, wusch ich mich im See und holte das Wasser aus der Schwengelpumpe. Strom gab es zu DDR-Zeiten auf den meisten Zeltplätzen sowieso nicht. Das heißt, ich war von Anfang an nichts anderes gewöhnt, als draußen zu sein – de facto ohne Luxus. Das Unterwegssein kam dann später hinzu, man kann sagen mit acht­zehn, als ich mit einem Freund nach langem Überreden einen Rucksackurlaub mit dem Zug nach Bulgarien wagte. Nun hatte ich Blut geleckt, wie man es so schön sagt.

Und wenn wieder eine Reise ansteht, so hat sie oft auch eine längere oder kürze­re Vorgeschichte, oder anders ausgedrückt: Es muss erst mal eine Idee zu einer Tour geboren werden. Das sind meist unscheinbare Ereignisse oder Begegnungen, die mir dann das „Samenkorn“ in den Kopf „einpflanzen“. Das kann auch ein längerer Prozess sein, der dann irgendwann zu einer „Pflanze“, oder anders gesagt zu einer Reiseidee wird. So war es auch mit dieser Seidenstraßentour.

Zentralasien war schon immer eines der Lieblingsziele in meinem Reiseleben. Mongolei, Kasachstan und auch Westchina – da bin ich bereits mit meinem Drahtesel gewesen und habe mich trotz der oft harten physischen Reisebedin­gungen wohlgefühlt. Die Weiten von Wüste und Steppe, die besondere Gast­freundlichkeit der Bevölkerung dort, die teilweise archaische Lebensweise der Menschen, die ursprüngliche, vom modernen Westen noch nicht so beeinflusste Kultur, all das faszinierte mich. Fasziniert haben mich auch die Reisen und Be­richte der zwei großen Globetrotter des 14. Jahrhunderts: Ibn Battu¯ ta und Mar­co Polo. Die hatten über viele Jahre die arabische und östliche Welt für sich erschlossen und inspirierten die nachfolgenden Reisenden und von Fernweh geplagte Menschen, die Welt selbst zu entdecken, und das reicht hinein bis in unsere Tage…..

 

Aus meinem Buch „Abenteuer Seidenstraße“,  1. Kapitel: „Zu Beginn“,

Mitteldeutscher Verlag GmbH, Halle (Saale) 2019

ISBN 978-3-96311-161-7